Antike Pandemien – zwischen Naturphilosophie und Götterstrafe

Am 26.4.2023 sprach PD Dr. Christian Rollinger (Uni Trier), der schon 2015 einen spannenden Vortrag zum Thema „Antike im Computerspiel“ bei uns gehalten hatte, im Rahmen der Vortragsreihe „Lebendige Antike“ über die historischen Pandemien der Antike – ein Thema, das uns vor dem Hintergrund unserer Gegenwart und der Corona-Pandemie ganz besonders interessierte. Dabei zeigte er, dass die Pest von Athen (5. Jh. v. Chr.), die Antoninische Pest (2. Jh. n. Chr.) und die Justinianische Pest (6. Jh. n. Chr., in Wellen sogar bis 8. Jh.) genau wie heute durch Strukturen der „Globalisierung“, z. B. internationale Handelswege, in ihrer Ausbreitung stark begünstigt wurden. Er erklärte, wie man heute versucht, zu bestimmen, welche Art von Krankheit vorlag, also eine retrospektive Diagnostik durchzuführen und zwar mit Hilfe komplizierter Methoden, z. B. der Paläopathologie (an Knochen und Skeletten) und der Pathographie (d.h. der Analyse der vorliegenden zeitgenössischen Quellen). Dr. Rollinger fokussierte sich in seinen Ausführungen vor allem auf die antiken Quellen. Sie sind sehr umfangreich und stammen z. T. von Personen, die selbst als Ärzte praktizierten. Allerdings waren diese Texte stark von der Theorie der 4-Säfte-Lehre beeinflusst und konnten dadurch in ihrer Suche nach den Ursachen der Krankheiten nicht auf den eigentlichen Grund, die Mikroorganismen, kommen. Im Wesentlichen versuchte man, die Krankheiten als Konsequenzen von Umwelteinflüssen (z.B. verunreinigter Luft) zu erklären. Der locus classicus dieser Krankheitsbeschreibungen ist natürlich die – auch im Unterricht hin und wieder gelesene – Beschreibung der athenischen Pest durch Thukydides. Da diese sich allerdings auch sehr auf die moralischen Aspekte der Krankheit konzentriert (v. a. die Auflösung der gesellschaftlichen Solidarität), liefert sie auch späteren Pathographien die Vorlage zur moralischen Interpretation als Götterstrafe (auch im christlichen Kontext, z. B. bei Laktanz). Dies ist jedoch beileibe kein Spezifikum antiker Sichtweisen, wenn man bedenkt, dass die Verbreitung von HIV und Corona immer wieder auch von modernen Interpreten als „Strafe“ für verfehltes Verhalten gedeutet wird, z. B. im religiösen Kontext oder auch außerhalb dessen. Daneben wurde natürlich auch im Rahmen des Vortrages diskutiert, welche Krankheiten tatsächlich bei den genannten Pandemien vorlagen. Schwierig ist die Deutung der athenischen Pest, da die geschilderten Symptome kein einheitliches Bild abgeben. Die Paläopathologie hilft hier weiter: Aus Zahnschmelzproben eines athenischen Massengrabes ließen sich Typhuserreger isolieren. Bei der Antoninischen Pest handelte es sich wohl um eine Pockenpandemie und die Justinianische Pest war die erste Pandemie der „echten“ Pest, die dann später ihre berühmteste Ausbreitung im mittelalterlichen Europa des 14. Jhs. erlebte. Die Zuhörenden verfolgten den lebendigen und immer wieder für Zwischenfragen und -bemerkungen offenen Vortrag gespannt und stellten noch viele zusätzliche Fragen. Dr. Rollinger zeigte sich in der Diskussion wieder als freundlicher und kompetenter Gesprächspartner. So erlebten alle Beteiligten einen angenehmen und informativen Abend.

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